Zu Penthesilea
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Atemberaubend

Von Tom Mustroph

Potsdam: Mathias Noack spielt im Solo »Penthesilea«


Im düstren Wald der “Hermannsschlacht” – schwarze Baumstämme ragen wie mit einem Fluch verhexte Krieger aus schmutzig-grauem Schnee – steht eine Gestalt, gehüllt in einen dunklen bodenlangen Soldatenrock. Sie scheint ein Ebenbild der Bäume, ein Verwandter, die kleinere Ausgabe, als letzter vielleicht davongekommen und nicht auf Ewigkeit verholzt.

Die Gestalt wird in den nächsten zwei Stunden diesen Gespensterwald durchmessen und zum Reden, ja zum Klingen bringen, was die Stämme nicht mehr vermögen zu sagen Sie wird erzählen von einer Schlacht – einer der furchtbarsten des Altertums –, in der die Frauen sich mit Männern schlugen, sich verliebten, sich zerrissen und die übrig gebliebenen nebenbei noch eine Großstadt derart vernichteten, dass es dreitausend Jahre dauern sollte, bis ein verlachter Mann aus Preußen die Scherben wieder ausgrub.

Ein anderer Mann aus Preußen, auch verlacht von vielen seiner Zeitgenossen, goss die Geschichte von Achill und Penthesilea in – vertraut man den Verlagsangaben – 3040 Verse. Ein weiterer Mann aus der Mark Brandenburg, Mathias Noack, 40 Jahre alt, Schauspieler, hat sich nun Kleists Drama über eine Episode des trojanischen Kriegs vorgenommen. Ganz allein steht er da in seinem Soldatenmantel im Potsdamer Theater und ist Erzähler, ist Achill, ist Penthesilea, ist Griechen- und Amazonenheer.

Die Verse Kleists perlen von seinen Lippen, sie sind Kristalle, umgeformt in Ton. Sie berichten vom blutigen Schlachten, von der Leidenschaft des Kampfes, des Blutvergießens und von dem noch viel wütenderen Brennen, das zwei Herzen heimsucht, das von Achill und das von Penthesilea. Voll Temperament und doch auch kühl, in eine Distanz gerückt schildert der Dichter die Begebenheit. Noack, ins schwere Militärtuch gegürtet, darunter ein enges rotes, ein wenig verschossenes Kleid, vertraut in seinem Vortrag sowohl der Klarheit der Gedanken Kleists als auch dessen Pathos. Er malt, fast nur mit seiner Stimme, die Dimension der Gefühle aus.

Dem Zuhörer bebt das Herz. Es rast das Blut und mit unerreichter Klarheit ist der Kopf erfüllt. Hier lieben zwei. Sie müssen in ihrer Liebe rasen, weil der Gesellschaft Normen sich ihnen in den Weg stellen. Nicht um ihn werben – gefangen nehmen nur darf die Amazone den Mann, mit dem sie ihr Lager teilen möchte. Schlimmer noch, nur den, den das Schlachtglück ihr in die Hand trieb, soll sie zum Genossen im rituellen Rosenfest nehmen.

Dem Mann, dem Krieger, sind Frauen nur ein Zeitvertreib. Doch wird Achill, dem Superkrieger, das perfekt betriebene Geschäft zur Nebensache. Gefangen nehmen lassen will er sich, damit die Frau die seine und er der ihre werden kann. Noack zeigt einen Achill, der einst Rabauke war, etwa an Bäume urinierte, während er mit Frauen sprach, dann jedoch transparent wird, ganz zart, aufgehend in etwas Neuem, das ihm fremd ist, ihn aber doch unwiderstehlich lockt.

Stärker als Achill, der einmal sich zur Sanftmut entschieden hat und dabeibleibt, ist Penthesilea dem Widerstreit zwischen dem, was ihr anerzogen und dem, was ihr Begehren ist, unterworfen. Glücksversprechen, Zorn und Misstrauen werfen sie hin und her. In Noacks Person, der sich nach einer knappen Stunde des Militärmantels endgültig entledigt und fortan im roten Kleid agiert, verschmelzen Mann und Frau zu einem polyphonen Tier. Mal überwiegt das männliche, mal das weibliche Element. Auch der muntere Plauderton der Gefährten Achills, die sich schulterzuckend von der “Verirrung” ihres Heros abwenden, ist als Nuance bei Noack angelegt.

Ebenso das Bangen der Freundinnen und der geschmeidige Tadel der Dianen-Priesterin. Die einzelnen Figuren tauchen als Stimmen, als Facetten menschlicher Wesen auf. Sie sind erkennbar, doch nicht trennscharf von einander abgesetzt. Man wohnt nicht einem konventionellen Schauspiel bei, sondern findet sich unversehens an einem Kopf- (und Herz)Theater beteiligt, das ausgelöst ist durch einen Künstler, der im antiken Sinne Sänger ist - ein Medium, gefangen vom Gesang, ihn verkörpernd, sein Träger seiend, manchmal sich vielleicht dem Wahn hingebend, das Dargestellte selbst zu sein. Dieser Sänger braucht keine Theatereffekte. Die kluge Bühne von Kasper Glarner hilft, die verbundene Hand am Anfang führt in die Lageratmosphäre ein, doch sind die Tonzuspielungen - der Chor der Jungfrauen - und auch das Theaterblut am Ende völlig unnötig.

Von diesem Einwurf abgesehen war der “Penthesilea”-Monolog ein Genuss. Noack hat mit der Sprache Kleists, mit seiner hellen Stimme und seinem klaren Blick betört. Es stand ein Schauspieler da, der, weil er immer wusste, was er tat, zum Sänger einer Liebe wurde. In zwei atemlosen Stunden vergaß man, dass man das Drama bereits kannte. Man hörte es wie neu, wie gerade erst entstanden. Das Publikum im Hans-Otto-Theater hing konzentriert an Noacks Lippen, kein Hustanfall, kein Füßescharren störte. Ein Glücksmoment von Sprechtheater. Hoffentlich nicht einmalig.

aus: “Neues Deutschland” am 06. 12. 2004


 
Die Sprache ist die Heldin dieser Tragödie

Von Bettina Schulte

Mathias Noacks ungewöhnliche Inszenierung von Kleists »Penthesilea«

Bescheidenheit ziert Kleists Penthesilea nicht. Maßlos ist die Amazonenkönigin im Lieben wie im Hassen – und wenn sie ihren Geliebten, den Griechenhelden Achill, im Bund mit einer Hundemeute zerfleischt, ist es ein der Raserei ihrer Gefühle geschuldetes Missverständnis: “Küsse, Bisse, das reimt sich.” Ein bißchen Maßlosigkeit zumindest muß auch in Mathias Noack stecken. Anders wäre dieser Schauspieler wohl kaum auf die Idee gekommen, Kleists vor zweihundert Jahren entstandenes Trauerspiel im Alleingang zu schultern. Noack ist, wie man jetzt im Theater im Hof in Kandern-Riedlingen erleben kann, Achill und Penthesilea, Odysseus und Prothoe, die Oberpriesterin der Diana und auch noch jene Boten, die die Figuren des Dramas, indem Kleist zufolge “der ganze Glanz und Schmutz” seiner Seele liegt, über den Fortgang der Geschehnisse informieren.

Wer spricht? Für Zuschauer, denen “Penthesilea” nicht vertraut ist, mag das nicht immer auf Anhieb klar sein. Doch dieser Einwand gegen Noacks Ein-Mann-Theater wiegt nicht schwer, wenn man sich mitreißen lässt von Kleists Sprachfluss, der gerade in der Konzentration auf einen einzigen Spieler an Sogkraft enorm gewinnt. Allein in der souveränen Darbietung des schwierigen Textes leistet dieser Unglaubliches.

Darüber hinaus benötigt Mathias Noack für sein packendes Spiel fast ein Nichts an Requisiten. Der Innenhof von Dieter Bitterlis und Dorothea Koelbings altem Bauernhaus, der einmal im Jahr zum atmosphärischsten Theater der Region mutiert, kommt der Kargheit sehr entgegen. Ein Regengitter und das Loch darunter, ein Fenstersturz, eine Holztür, ein Stuhl, dazu ein wenig rote Farbe (für das nur angedeutete Blut), ein Rosenstiel und dezente akustische Unterstützung – mehr braucht es nicht, um Griechen- und Amazonenheer, Penthesileas Kampf mit dem “Peliden”, das Zusammentreffen der Liebenden in einer Waffenpause und das tödliche Finale zu vergegenwärtigen. Was deshalb so gut funktioniert, weil Kleist über weite Strecken mit der Teichoskopie arbeitet: Beobachter berichten über Ereignisse, die man auf der Bühne nicht zu sehen bekommt. Die Visualisierung von Schlachtgetümmel ist auf dem Theater ohne Lächerlichkeit nicht zu haben. Das war auch Kleist klar.

Vielleicht könnte man sogar sagen, dass Noacks Inszenierung die Abstraktion, die im Stück angelegt ist, heraus- und damit auf die Spitze treibt. In jedem Fall stört bei so viel optischer Enthaltsamkeit nichts die Konzentration auf die Sprache, die eigentliche Heldin dieser Aufführung. Noack stellt sich ganz in ihren Dienst. Bei ihm kann man mit Staunen erfahren, wie viel szenische Anschaulichkeit und Unmittelbarkeit in ihr liegt und wieviel Kraft. Gerade dann, wenn sich der Schauspieler zurücknimmt, wenn er gegen das sich steigernde Erregungspotenzial der Geschichte ein kontrolliertes Piano setzt, wenn er mit kleinen Nuancen nur die verschiedenen Stimmen kenntlich macht – die des vernünftelnden Zauderers Odysseus ebenso wie die von Prothoe, der schwesterlich treuen Vertrauten der Amazonenkönigin – folgt man dieser “Penthesilea” mit großer Spannung.

Seinen Höhepunkt erreicht Noacks “Tat-Traum” in jener Szene, als Penthesilea und Achill zum ersten (und letzten) Mal zusammentreffen; als die stolze Königin unter falschen Voraussetzungen, sie habe – wie das im Amazonengesetz es fordert – sich den Geliebten in der Schlacht siegreich erkämpft, einen Augenblick lang ihre Liebe leben kann. Ob Mann, ob Frau, ob einer, ob zwei: Mathias Noack lässt all das vergessen. Hier schafft sich ein unbedingtes Gefühl Raum. Eine grandiose Leistung.

aus: “Badische Zeitung” am 12. 08. 2006




Starke Frau und starker Mann

Von Johanna Otter

Ungeheuerlichem ist vielleicht am allerbesten mit Ungeheuerlichem beizukommen. Heinrich von Kleist lässt in seinem Trauerspiel “Penthesilea” die Amazonengöttin den Achill zerfleischen; aus Liebesraserei - und aus Versehen quasi, hat sie doch seine Botschaft falsch gedeutet. Starke Frau und starker Mann, auf Kriegsfuss mit der Konvention und auch miteinander, in wilder Leidenschaft und schlechter Kommunikation. So etwas vor 200 Jahren zu erdichten - die Sage weiss davon nichts -, das war kühn, genauso wie die Idee vom freien Amazonenstamm, der regelmässig zur Besamung Männer fängt.

Kühn auch und ungeheuerlich, das personenreiche Drama ganz allein zu spielen: Mathias Noack brachte das Stück 2003 in eigener Regie auf die Bühne. Dieses Solo, “ein Tat-Traum” untertitelt, ist nun im “Theater im Hof” im idyllischen Kandern-Riedlingen zu Gast. Obgleich es um antike Schlachten geht - der alte bäuerliche Innenhof passt trefflich. Denn wenn da Noack ganz allein “Penthesilea” gibt, ist das ein wenig, als spielte der Autor (in halbirrem Taumel) das Stück für seine Tante Marie, wie Früheres schon: Ein Kleist-Brief an sie ist dem Abend vorangestellt. Und erstaunlicherweise eignet der Text sich zum Solo. Die handlungsarme Übermacht der Sprache, den üblichen Bühnenumsetzungen eher abträglich, ist hier günstig.

Der schlanke, jünglingshafte Schauspieler, zunächst im langen Soldatenmantel, dann im hautengen blutroten Kleid, variiert die Figuren, die er spricht, nur in Nuancen. Mehr ist nicht nötig - so man mit dem Text vertraut ist. Wenn nicht, kanns harzig werden, grad am Anfang der knapp zwei Stunden: ellenlange Kriegsberichterstattung. Doch wenn es dann zur Sache geht, wenn sie zusammentreffen, Penthesilea und Achill, wenn sie einander sich eröffnen, umwerben und aneinander zerren, ist jeder Vorbehalt vergessen: Packend ist das, wunderbar, erschütternd.

aus: “Basler Zeitung” am 12. 08. 2006




Ein-Mann-Stück von antiker Größe

Von Jürgen Scharf

Mathias Noack gibt Kleists »Penthesilea«

Wie kann ein Mensch gleichsam Achill sein, in der nächsten Minute Penthesilea, dann wieder die Oberpriesterin der Diana, die Amazonen und die Könige des Griechenvolks? Wie kann einer, alle diese Rollen in einer Person verkörpern?

Es ist möglich, dass ein Schauspieler über seine Grenzen und auch über die der Figuren hinauswächst. Diese Erkenntnis bringt der Theatersommer 2006 im Theater im Hof in Kandern-Riedlingen, wo Mathias Noack Kleists “Penthesilea” als Ein-Mann-Stück in Eigenregie spielt und das hat wahrlich antike Größe!

Zu erleben ist ein zweistündiges Drama über die Amazonenkönigin Penthesilea, jene Figur aus der griechischen Sage. Sie liebt Achilles ebenso leidenschaftlich wie sie ihn hasst. Es ist eine Reise durch die Höhen und Tiefen der menschlichen Seele.

Noack rollt ein Eros-Mysterium in einem einzigen, schier atemlos gespielten Akt vor uns auf. Man spürt, dass der Text für ihn Textur ist. Dem Schauspieler geht es um das Herausarbeiten der einzelnen Elemente, der Kontraste: hier die kriegerischen Frauen, das Aggressive, Tödliche, dort das Hingebungsvolle, Liebende – eine Tragödie des Ichs.

Wie von Furien gehetzt, lebt Noack die menschliche Existenz in maßloser Wildheit aus. Blutverschmiert, an Armen und Beinen bandagiert, wirft er sich auf den Boden, der Held oder die verletzte Seele. Seine Penthesilea träumt sich in Todestrance, spielt sich in einen Wahnsinnsrausch von Blut und Rosen.

Also ein Abend der Emotionen, der Ausbrüche und Raserei und einer Bildersprache, mit großer sprachlicher Ausdruckskraft und tiefenpsychologisch ausgeloteten Figuren in nachgerade Sophoklesscher und Aischylosser Wucht. Aber auch ein großer Konzentrationsprozess, dem die gebannten Besucher beiwohnen konnten.

aus: “Oberbadisches Volksblatt” am 12. 08. 2006




Das tödliche Drama der Liebe: Die 13. Kleist-Festtage in Frankfurt/Oder widmen sich der »Penthesilea«

Von Hartmut Krug

Stille und Sturm

Im Kleist-Forum ließ ein einzelner Schauspieler des Dichters Sprache aufblühen. Mathias Noack spielt in einem zweistündigen Solo ganz allein die “Penthesilea”. Das Publikum sitzt auf der Hinterbühne dicht an der mit Sand bedeckten leeren Spielfläche. Erst im bodenlangen, schwarzen Uniformrock, dann im schmutzig roten Kleid spricht Noack die suchenden, die fordernden, die leidenschaftlichen und verzweifelten Sätze von Kleist, der sich mit 34 Jahren am Berliner Wannsee erschoss. Nur unterstützt von akustischen Zeichen, unternimmt der Schauspieler eine Seelenschau. Er übersetzt das Forschende des Textes in ein stilles, nachsinnendes Staunen.

Hier gibt es keinen Verwandlungsartisten zu bewundern, sondern einen Sprachgestalter, der die Sätze öffentlich durchdenkt. Es geht um die Liebe – zu sich selbst, zu anderen, zum anderen Geschlecht, es geht um die Widersprüche auf dem Schlachtfeld der Gefühle und der Sprache. Den ganz großen Atem für sein zweistündiges Solo besitzt Mathias Noack noch nicht. Doch insgesamt ist dies ein aufregender Versuch mit Kleists “Penthesilea”. Faszinierend und zugleich anstrengend: Anders ist Kleist nun mal nicht zu haben.

aus: “Der Tagesspiegel” am 01. 07. 2003




13. Kleist-Festtage Frankfurt (Oder)

Von Carl Ceiss

Auf der Hinterbühne des Kleist Forums, spielt in Eigenregie und Fassung mit sparsamer Gestik Mathias Noack “Penthesilea”, spielt die Königin der Amazonen, den Achilles sowie diverse weitere Figuren knapp über zwei Stunden. Die Bühne, ein Rechteck aus gelbem Brandenburger Sand. Das Kostüm: als Achilles ein bodenlanger, schwarzer Militärmantel mit silbern glänzenden Knöpfen, als Penthesilea ein rotes, verschmutztes enges Kleid mit Seitenschlitz, die Umzüge auf offener Bühne. Das Licht zumeist taghell, später bleibt im Sand ein Schatten, aus dem sich der Darsteller längst erhoben hat. Noack baut sich während seines Spiels mit wenigen Requisiten, einem Stuhl, einer roten Rose, einer Blechbüchse, einem Räucherstäbchen einen kleinen Altar, zerstört ihn später, zerstreut Rosenblätter, sammelt sie wieder auf. Er schlägt die Wortschlachten in einer ungeheuren Konzentrationsleistung, greift zuweilen zur Wasserflasche zur Ölung der Stimme. Sein Schreigeflüster oft en face zur Tribüne wird teilweise durch die akustischen Verhältnisse der Spielstätte geschluckt, foltert so die bravouröse Aufmerksamkeit der Zuschauer. Sein Gesicht bleibt außer von “Blut” ungeschminkt, der androgyne Typus kommt der Doppelrolle gelegen. Die Frauendarstellung wirkt keine Sekunde peinlich, das Vorzeigen der “amputierten” Brust ist jedoch mindestens so hoch komisch, wie schon Goethe fand. Ist das Unsagbare, der Geschlechterkampf in der eigenen Brust nah bei Kleist – Der Abend untersucht die Manipulation der Gesellschaft durch die Festlegung der Rollen. Was von den Amazonen euphemistisch “Rosenfest” genannt wird, wo Männer zu Samenspendern degradiert werden, Frauen nur lieben dürfen, was sie erobert haben. Kleist beschreibt die Unfähigkeit, unter solchen gesellschaftlichen Konventionen zu leben, zu lieben, sich zu reproduzieren, nimmt in Penthesilea den Suizid am Wannsee geistig vorweg. Mathias Noacks Versuch verdoppelt einerseits die Hürden Kleistscher Wortgewalt durch die Monologisierung, andererseits tritt dadurch erhellend das Zwiegespräch Kleists mit seinen Rollen hervor.

aus: “Theater der Zeit” Septemberheft 2003




Kleist als Penthesilea?

Von Lene Zade

Mathias Noack inszenierte Penthesilea als Soloprogramm und zeigte es im Hans Otto Theater

Zartgliedrig und in einem viel zu großem Militärmantel steht Mathias Noack auf der Bühne, während das Publikum Platz nimmt. Ein Kind sieht so aus, nicht ein mordbereiter Krieger. Zwischen kahlen, schwarzen Stämmen klammert sich da einer an eine Stuhllehne und schaut ratlos in die Welt. Das hier ist ein Zweifelnder oder ein Gefangener, aber kein siegessicherer Feldherr.

Der 40-jährige Schauspieler, der auch gleichzeitig Regie führte, will das eine in dem anderen zeigen: die Blutrünstigkeit des Krieges und das Verfangensein in der Rolle des Kämpfers, der Überwältigung nur als Schmach, nie auch als Sieg erleben kann. Als Textvorlage dient Noack das Kleistsche Trauerspiel von der Amazonenkönigin Penthesilea, die sich inmitten des Schlachtgetümmels in Archilles, einen König der Griechen verliebt und mit ihm diese Liebe nur im Kampf, im Sich-gegenseitigen-Töten leben kann.

Anlässlich des 193. Todestages des Dichters gastierte Mathias Noack im Hans Otto Theater. Bevor das Drama beginnt, liest Noack einen Brief von Kleist vor, in dem dieser davon kündet endlich die „Penthesilea“ beendigt zu haben, ein Werk, in dem seine Seele stecke. Nach gut zwei Stunden wird Kleists berühmter letzter Brief an seine Schwester vorgetragen, in dem er „am Tage seines Todes“ seinen Selbstmord ankündigt. Durch diese biografische Deutung des Trauerspiels holt Noack einen weitere Person auf die Bühne: der Dichter selbst ist es, der da mit sich hadert. Der Familientradition folgend, ging Kleist zum Heer, wurde Leutnant und schied dann doch lieber freiwillig aus der Militärlaufbahn aus.

Noack lässt unter dem schweren Soldatenmantel ein rotes körperenges Kleid hervorblitzen und setzt sich zu Beginn des Spiels breitbeinig zu Füßen eines kahlen Baumes. Im Folgenden mimt der Schauspieler alle Rollen des vielschichtigen Dramas selbst, ist mal Frau, mal Mann, mal Freundin, mal Gesandter. Als Accessoires genügen ihm, was er am Leibe trägt, und der Stuhl. Mehr nicht. Das ist grandios in der Schauspielkunst und beeindruckt als Leistung.

Dass am Ende doch Ratlosigkeit bleibt, liegt an der Interpretation des Stoffes, die Noack verfolgt. Die Darstellung vereinfacht das Drama auf die These des Geschlechterkampfes.  Leider konzentriert sich Noack ganz auf den Geschlechterkonflikt. Doch ein mit sich hadernder Kleist, der nicht weiß, ob er lieber eine Frau oder doch ein Mann sein will, wird dem Trauerspiel nicht gerecht. Aber vielleicht ist Kleist tatsächlich an einer eindimensionalen Sicht auf die Geschlechterrollen gescheitert.

aus: „Potsdamer Neueste Nachrichten“ am 22. 11. 2004





Zerbrochen an den eigenen Widersprüchen

Von Stephanie Lubasch

Mathias Noack zeigt Kleist-Stück als Solo

Da ist er wieder der Soldatenmantel. Gern benutzt, wenn es um Heinrich von Kleist geht, Sohn einer Junkerfamilie, deren Angehörige seit Generationen im preußischen Heer dienten und der selbst nicht nur am Militär, sondern am ganzen preußischen Staat verzweifelte. Fast scheint es, als wolle der Schauspieler, eingehüllt in diesen dunklen Stoff, den Dichter selbst mit auf die Bühne bringen, hinein in diese “Penthesilea” sein wohl persönlichstes Stück.
Kleist, der sich in einer Frau, der Amazonenkönigin, findet – genau das beschreibt Noack als Ansatz seines selbst inszenierten Solo-Abends, der am Donnerstag im Rahmen der 13. Frankfurter Kleist-Festtage seine Premiere feierte.
Zwei pausenlose Stunden zelebriert der Schauspieler die wortgewaltige Tragödie: Penthesilea, die sich einen Mann im Kampf erringen muss, will den Griechen Achill, unterliegt ihm jedoch und wird ohnmächtig gefangen genommen. Um sie zu schonen gaukelt man ihr vor, sie sei die Siegerin. Doch der Schwindel fliegt auf und endet in einem grausamen Todestanz. Mathias Noack bringt beide Seiten auf den sandigen Bühnenboden. Multipel, eine Person, die ihre Einzelteile nicht zusammensetzen kann: Ein Mensch, der an der eigenen Widersprüchlichkeit zerbricht.

aus: “Märkische Oderzeitung” am 28./29. 07. 2003




Zerklüftete Seelenlandschaften

Von Lorenz Tomerius

Die "Faszination Kleist" überkam ihn früh. Mathias Noack, der am 26. und 28. Juni bei den Kleist-Festtagen im szenischen Alleingang Heinrich von Kleists Trauerspiel “Penthesilea” zur Aufführung bringt, war kaum 15 Jahre alt, als er am 21. November, dem Todestag des Dichters, im “Neuen Tag”, dem Vorläufer der “Märkischen Oderzeitung”, den Abschiedsbrief an seine Schwester Ulrike las.

“Dass ein Mann Anfang Dreißig freiwillig aus dem Leben scheidet, hat mich allein schon erschüttert, aber dass er so heiter geht, seine Briefe ohne Weinerlichkeit, ohne Vorwurf sind, und in einer so wunderschönen Sprache, hat mich sehr bewegt.” Die Verbundenheit hat auch mit Herkunft zu tun. Kleist wurde am 18. Oktober 1777 in Frankfurt (Oder) geboren. Mathias Noack im Juni 1964 in Eisenhüttenstadt. Sein Vater leitete einen landwirtschaftlichen Betrieb, seine Mutter war Hauptbuchhalterin einer Plattenbau-Fabrik. Aus der Mark Brandenburg stammen beide.

Die leise Sensibilität des jungen Schauspielers mag der des Dichters ähnlich sein. Sein Einfühlungsvermögen in die glühenden Nöte Kleists ist groß. Auch seine Bewunderung für dessen Brief an die Schwester: "Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zuhelfen war." So befreit Kleist sie von jedem Selbstvorwurf. Mathias Noack war zu helfen. Er wurde Schauspieler.

Das Studium in Leipzig war eine gute Mischung von Theorie und Praxis. Nach zwei Jahren an der Hochschule "Hans Otto" kam man ans Theater, Noack kam nach Dresden. "Das war die große Zeit von Wolfgang Engel als Oberspielleiter und Regisseur. Da habe ich viel gelernt."

Christoph Schroth engagierte ihn dann nach Schwerin. "Dresden und Schwerin waren neben Berlin die wagemutigsten Bühnen der DDR." Unter Schroths Regie spielte er auch in dessen berühmter "Wilhelm Tell"-Inszenierung. Und nach Berlin, sogar West-Berlin, kam er, weil Schwerin mit Nikolaj Erdmanns "Der Selbstmörder" zum Theatertreffen durfte. Horst Havemann führte Regie, der junge Noack spielte den Dichter und ging nicht wieder zurück in die DDR.

“Das war der 21. Mai 1989. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben eine eigene Entscheidung getroffen. Sonst wurde einem ja in der DDR immer alles abgenommen. Mir ging es eigentlich gut. Ich war nicht verfolgt. Aber ich wollte etwas anderes. Und an den Mauerfall im November war damals gar nicht zu denken!”

Er wurde gleich ans Heidelberger Theater engagiert. “Es war eine aufregende Zeit. Ich war glücklich, konnte selbst entscheiden, was mich betraf. So und nicht anders hatte ich das gewollt.”

Das Leben aber beschleunigte noch mal um einen Gang. Die Mauer fiel. “Nun hielt ich es in Heidelberg nicht mehr aus, ich musste in meine Stadt zurück, nach Berlin. Das war meine Theaterstadt.” Mit der Theaterbegeisterung der Westdeutschen hatte er einige enttäuschende Erfahrungen gemacht. “Es war den Menschen dort nicht wirklich wichtig. Ich habe in Düsseldorf, Dortmund oder Bremen schon am Bahnhof gefragt, wo’s zum Theater geht. Das wusste meist keiner. Ich habe das Theater als meine Heimat gesucht und nicht gefunden. Und war enttäuscht, weil in der DDR das Theater viel wichtiger, man viel neugieriger auf Texte war. ”

Berlin wurde Lebensmittelpunkt. Noack - 1989 von “Theater Heute” als bester Nachwuchsschauspieler, 1997 von der “Berliner Zeitung” mit dem Kritikerpreis ausgezeichnet - spielte nicht nur in Berlin Theater, sondern auch in Cottbus, Nürnberg, Tübingen, machte viel Fernsehen, genoss die Reisen dazu als Horizonterweiterung: “Das Leben war mir wichtiger als das Theater.” Beim Film wurde ihm vor allem Andreas Dresen wichtig. In seinem ersten großen Film “Stilles Land”, erleben Schauspieler in Anklam bei Proben “Warten auf Godot” den Fall der Mauer und fragen, ob es neue Wege, neue Perspektiven geben wird. Sich selbst sieht er gelassen auf dem Weg zu sich selbst.

Mit Kleist aber, dessen “Prinz von Homburg” er gespielt hat, geht er nun einen eigenen, kühnen Weg. Das Drama um die Amazonenkönigin Penthesilea und den Griechen Achill ist ein Fall rasender Liebe, in dem Bisse und Küsse, Hiebe und Liebe tödlich beieinander liegen. Zwei Ausnahme-Menschen, die außer sich sind, nicht zu einander finden, weil sie nicht zu sich selbst finden.

Das Wagnis, das Noack mit diesem Stück eingeht, scheint wie ein Ritt über den Bodensee. Dieser freundlich ernste Mensch will mit dem lodernd an der Welt leidenden Kleist wissen, wie man zu sich findet, als Mann, als Frau, als Mensch, zerrissen, gebrochen: “Ich will die Menschen mitnehmen auf eine Reise in eine Seelenlandschaft, die sehr zerklüftet ist.”

aus: “Märkische Oderzeitung” am 19. 06. 2003




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